Imitation Game

Das ‘Imitation Game’ ist ein Gedankenspiel, bei dem A. Turing der Frage
nachgehen will, ob die Denkfähigkeit von Menschen und Maschinen – genauer Digitalrechner – vergleichbar sein könnte.

Erfinder und geschichtlicher Kontext

Alan Mathison Turing (1912 – 1954) war ein britischer Wissenschaftler, der Arbeiten in unterschiedlichen Forschungsbereichen wie theoretische Mathematik, Logik, Kryptologie, Informatik und auch in theoretischer Biologie veröffentlichte. Kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges bestand mit dem Aufkommen erster funktionsfähiger Digitalrechner großes Interesse der wissenschaftlichen Forschungsgemeinde an den Möglichkeiten, die sich mittels dieser Maschinen eröffneten. So zog 1948 Norbert Wiener in dem Buch „Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine“ Parallelen zwischen organischer und anorganischer Informationsverarbeitung. Im gleichen Jahr verfasste Turing einen unveröffentlichten Text über intelligente Maschinen, in dem er ein Experiment skizzierte, nach dem eine Person zugleich zwei Schachpartien spielt. Einer dieser Schachgegner sei ein Mensch, der nach eigenen Fähigkeiten spielt, ein weiterer jemand, der heimlich anhand eines Algorithmus – der Papierversion eines Schachprogramms – spielt. Turing mutmaßte, dass es schwer zu unterscheiden wäre, wer nach welchem Verfahren Schach spielt. Zwei Jahre später, im Oktober 1950, veröffentlichte Turing als stellvertretender Leiter der Computerabteilung der Universität Manchester in der Zeitschrift Mind den philosophischen Artikel „Computing Machinery and Intelligence“[1], in dem er eine Vorgehensweise – von ihm Imitation Game und später Turing Test benannt – vorschlägt, wie man die Frage „Can machines think?“[2] beantworten könnte.

Aufbau, Ablauf und Ziel des Imitation Games[3]

Die Frage, ob Maschinen denken können, beinhaltet laut Turing das Problem, dass die verwendeten Begriffe ‚Maschine‘ und ‚denken‘ nicht exakt spezifiziert werden können, und er schlägt deshalb eine artverwandte Frage vor, die man anhand des von ihm beschriebenen ‚Imitation Game‘ stellen kann. Darin agieren Person A (ein Mann), Person B (eine Frau) und Person C. C ist räumlich getrennt von A und B, kann diese mit den eindeutig zugeordneten Namen X und Y mittels schriftlich vermittelter Kommunikation ansprechen und Fragen stellen. Ziel des Spiels ist, dass C herausfindet ob X oder Y der Mann bzw. die Frau ist. A soll dabei versuchen C bei der Lösung seiner Aufgabe entgegenzuwirken; B hingehen soll bei der korrekten Lösung unterstützen. Die oben erwähnte, artverwandte Ersatzfrage zu ‚Können Maschinen denken?‘ lautet somit: ‚Was passiert, wenn eine Maschine die Rolle von A in diesem Spiel übernimmt?‘[4]

Zum Begriff ‚denken‘[5]

Durch diese Alternativ-Frage wird der Begriff ‚denken‘ und somit auch die Notwendigkeit der Definition des Begriffs vermieden. Durch die gegebenen Vorgaben zum Aufbau und Ablauf des Spiels ist es dennoch möglich, ausschließlich die intellektuellen – nicht die körperlichen – Fähigkeiten eines Menschen beim Vergleich mit einer Maschine heranzuziehen.

Zum Begriff ‚Maschine‘[6]

Durch diese Alternativ-Frage wird zwar der Begriff ‚denken‘ vermieden, aber der Begriff ‚Maschine‘ wird weiterhin verwendet und bedarf einer Definition. Dazu stellt Turing drei Bedingungen auf: 1. Bei der Konstruktion einer Maschine soll jede denkbare Technologie beinhaltet sein dürfen. 2. Die Funktionsweise der Technologie muss nicht vollständig verstanden sein. 3. Menschen sind nicht als Maschinen zu verstehen. Da es Turing aber aufgrund Bedingung 1 theoretisch möglich erscheint, Bedingung 3 zu umgehen und einen Menschen künstlich zu erzeugen, schlägt er vor den Begriff Maschine durch ‚Digitalrechner‘ zu ersetzen. Diese Einengung des Begriffs ist legitim, solange das Imitation Game dennoch damit erfolgreich bestanden werden kann. Ein solcher Digitalrechner sollte mit einer Rechenleistung ausgestattet sein, die zwar zu Zeit Turings noch nicht möglich, aber zumindest vorstellbar war.

Digitalrechner (digital Computer)[7]

Diese bestehen aus den drei Elementen, die in ähnlicher Form auch bei menschlichen Computern (ein Beruf bei Finanzinstituten und auch in der Raumfahrt) vorhanden sind:

  1. Der Arbeitsspeicher entspricht dem Rechenpapier der menschlichen Computer und beinhaltet auch alle notwendigen Berechnungsvorschriften.
  2. Die ausführende Einheit führt in Abhängigkeit der Zwischenergebnisse alle Operationen aus (in moderner Nomenklatur: CPU).
  3. Das Kontrollwerk sorgt dafür, dass Befehle aus der Tabelle aller Berechnungsarten gemäß dem Programmcode abgearbeitet werden.

Anhand eines Beispiels demonstriert Turing, dass sowohl Operanden wie auch durchzuführende Berechnungsarten numerisch repräsentiert und somit im Speicher abgelegt und in definierter Sequenz abgearbeitet werden können. Daraufhin wird gezeigt, dass ein unendlich großer Speicher angenommen werden kann, denn in der Realität reicht der eben genügend große bzw. entsprechend vergrößerte, endliche Speicher eines Digitalrechners. Weiterhin werden ‚discrete state machines (DSM) und als deren Spezialfall mit einer endlichen Zahl von diskreten Zuständen ‚finite state machines‘ (FSM) beschrieben und gezeigt, dass Digitalrechner universell eingesetzt werden und somit jede FSM mit endlich vielen Zuständen nachbilden können.

Turings Vermutung[8]

Turing erstellt mit erstaunlich hoher Präzision eine Hypothese bezüglich der Annahme von konkretem Geschwindigkeit- und Speicherplatzzuwachs bei der technologischen Weiterentwicklung von Digitalrechner und kommt damit zu der Aussage, dass bis zum Ende des Jahrhunderts Digitalrechner das Imitation Game ebenso gut spielen können, wie es Menschen tun und somit die Frage ob Maschinen denken können, irrelevant werden würde.

Gegensätzliche Ansichten bezüglich der Hauptfrage[9]

An dieser Stelle werden neun Einwände gegen die Frage ‚können Maschinen denken?‘ angeführt. Für die modifizierte Frage mittels des Imitation Game ist die Mehrheit dieser Einwände zwar nicht relevant; dennoch werden sie detailliert durchdekliniert. Die ersten acht der Einwände werden mittels natur- und geisteswissenschaftlichen Argumenten bestmöglich widerlegt, einzig der Einwand, dass Menschen im Gegensatz zu Maschinen übersinnliche Fähigkeiten haben könnten und diese möglicherweise sogar zum menschlichen Geist zugehörig seien, bleibt nur vage widerlegt.

Lernfähige Maschinen[10]

Die damals zur Verfügung stehende Rechen- aber vor allem Programmierkapazität wäre unzureichend zur Herstellung eines geeigneten Computers zur experimentellen Überprüfung des Imitation Game gewesen. Darum schlägt Turing vor, einen Digitalrechner zu erstellen, der anfangs einfacher programmiert, aber mit der Fähigkeit versehen wäre, selbstständig dazuzuzulernen. Das wäre dann a) ein Kind-Computer der durch b) Erziehung und c) weitere Einflüsse mit der Zeit geformt werden würde. Turing unterlegt die Entwicklung eines Kind-Computers einem Auswahlprozess ähnlich der Evolution mit gezielter Mutation und intelligenter Selektion des Betreibers. Die Erziehung bzw. formenden Einflüsse werden als Wahrscheinlichkeiten beschrieben, nach denen eine mögliche Handlungsalternative eher wiederverwendet wird, wenn diese in einer früheren Situation positiv bewertet wurde und solche die negativ bewertet wurden, eine niedrigere Wiederholungswahrscheinlichkeit zugewiesen bekommen.

Diese einfachere Konstruktion und die evolutionäre Auswahl des Kind-Computers – statt eines vollständig programmierten Digitalrechners – mit der Möglichkeit der positiven wie negativen Bewertung von gewählten Handlungsalternativen, sei sehr wichtig, da es das Problem des Programmieraufwandes löse und eine ganze Reihe der geführten Einwände entkräfte – insbesondere den Einwand, dass Digitalrechner nicht kreativ sein können.

Am Ende lässt Turing offen, welchen weiteren Forschungsansatz man wähle soll; ob es besser ist, abstrakte Aktivitäten wie das Schachspielen nachzubilden oder lernfähige Maschinen mit komplexer Sensorik und Sprachverständnis erforscht werden sollten. Er sieht beide Wege als vielversprechend an.

Verfasser: Lothar Reiter

[1] (Turing, 1950)

[2] (Turing, 1950) S.433

[3] Vergl. (Turing, 1950) S.433f

[4] Vergl. (Turing, 1950) S.434

[5] Vergl. (Turing, 1950) S.433

[6] Vergl. (Turing, 1950) S.433

[7] Vergl. (Turing, 1950) S.436f

[8] Vergl. (Turing, 1950) S.442

[9] Vergl. (Turing, 1950) S.442ff

[10] Vergl. (Turing, 1950) S.455f